– Kapellmeister, Komponist, Laien-Musikdirektor, Schöpfer von „Alt-Ruhla“-Melodien –

Louis Berthold Stehmann wurde am 12. Juli 1843 in Ruhla GA als Sohn des Beschlägers Johann Heinrich Stehmann am Hof (untere Köhlergasse) geboren. Der Vater war der erste Tabakpfeifenbeschläger, der Großvater Johann Christoph Stehmann der letzte Messerschmied in der Familie vom Stehmannshof, die 250 Jahre lang die alte Handwerkstradition der Messermacherei bewahrt hatte. Berthold Stehmann war ein sehr begabter Schüler und sollte auf Anraten seiner Lehrer studieren oder wenigstens auch Lehrer werden. Als einziger Sohn musste er aber den Beschlägerberuf ergreifen, um das vom Vater gegründete Geschäft mit zu beleben und dann weiter zu betreiben. Eine besondere Begabung drängte ihn zur Musik und ließ ihn frühzeitig auf diesem Gebiet nebenberuflich praktisch und schöpferisch tätig sein. Einen guten musikalischen Lehrmeister hatte er in Friedrich Lux, dem Kapellmeister, Chorleiter und Komponisten in Mainz, der jährlich längere Zeit während seiner Sommeraufenthalte in der Heimat auch im Stehmannshof wohnte und hier in der Umgebung seines Geburtsortes komponierte. Lux hatte die Begabung des jungen Stehmann erkannt, förderte ihn und gab ihm die einzige musikalische Ausbildung. Aus dem anfänglichen Schüler-Lehrer-Verhältnis wurde später ein freundschaftliches Verhältnis und Stehmann weilte wiederholt bei Lux in Mainz. In Ruhla führte er einige kleinere Luxsche Werke auf. Zusammen mit dem Vater gehörte Berthold Stehmann schon in jungen Jahren dem nach 1850 aus der Instrumentalabteilung des Adjuvantenchores der Trinitatiskirche hervorgegangenen Orchester der damaligen Gemeinde Ruhla Gothaischen Anteils an. Hier hat er wahrscheinlich bereits 1861 beim 200-jährigen Jubiläum der Concordia-Kirche, bestimmt aber 1867 beim Einweihungsfest für den ersten Carl-Alexander-Turm, zu den alten Ruhlaer Tänzen, insbesondere zum „Rühler Springer“, mit aufgespielt. Dies war ein wesentlicher Fakt zu deren späterer Wiedererstehung.

Noch nicht 24-jährig legte Stehmann erste eigene und sogleich auch vom Orchester aufgeführte Vertonungen vor, was vorhandene Notenaufzeichnungen von ihm aus dem Jahre 1867 belegen. Fortan hat er viele Tänze und Märsche komponiert. Alljährlich entstand ein neuer Kirmesmarsch, der dann das ganze Jahr über Marsch-Schlager in Ruhla war. An Instrumenten spielte er Klarinette, Geige, Klavier, Orgel und Harmonium. Außerhalb Ruhlas trat Stehmann als Komponist ebenfalls in Erscheinung, z.B. 1870 auf Musikveranstaltungen in Baden mit dem begeistert aufgenommenen Marsch „Erinnerung an Schwetzingen“, den das Stadtorchester Heidelberg einstudiert hatte. Leider ist keine dieser Tanz- und Marschkompositionen der 1870er und 1880er Jahre gedruckt worden. Eine ganze Anzahl von Originalnotenblättern befand sich aber vor Jahren noch im Besitz seines jüngeren Sohnes Edmund, der 1906 in Ruhla eine Fassondreherei, die spätere Metallwarenfabrik Storch & Stehmann, gründete. Verheiratet war Berthold Stehmann ab 1. Mai 1877 mit Minna, geb. Hess. Der Ehe entsprangen vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter.

1880 übernahm Berthold Stehmann die Leitung der Kapelle Ruhla GA, die dann für Jahrzehnte auch seinen Namen führte, und später die Leitung verschiedener Gesangsvereine. Durch die Tätigkeit als Chordirigent wurde er auch zur Komposition vieler Lieder angeregt, von denen einige gedruckt erschienen sind. Sein „Sonntagmorgen-Lied“, in Ruhla durch viele Chorvorträge bekannt, erhielt bei einem großen Wettbewerb den ersten Preis. Für die Vereinigung „Alt-Ruhla“ setzte er alte Volksweisen neu wie z.B. das „Taubenlied“, das „Kirmestanzlied“ und vertonte Heimat- und Mundartgedichte von Ludwig Storch und Arno Schlothauer wie das „Gretchenlied“ („…mit mir im Kreis herum“), „Gölle Käind“, „Mi zwea Scheatzerchen“, „Vivat unse Ruhl“, „Frühjoihrschvearsch“ u.a. 1888 schrieb er den „Kegeltanz“. An alten Tanzweisen wurden von ihm aufgezeichnet und neu gesetzt der „Rühler Spreenger“, der „Müllchestaanz“, der „Milljonear“, der „Vorreihen“ . Grundlage dazu war die Erinnerung an deren letzte Aufführungen 1867. Danach waren sie nahezu in Vergessenheit geraten. Unterstützt wurde Stehmann bei der Reproduzierung der Tanzweisen durch Bernhard Cotta, der damals mitgetanzt hatte und Melodien noch vorpfeifen sowie Figuren und Schritte noch demonstrieren konnte, die dann Tanzmeister Weyrich und Stehmanns Tochter Anna sofort einübten. (Die Noten der Tänze und die Tanzweisen sind veröffentlicht im „Thüringer Tanzplan“, Leipzig 1930. Die Liedmelodien sind nur handschriftlich überliefert.) Für die Trachten- und Heimatvereinigung komponierte Stehmann auch den „Alt-Ruhla-Marsch“, und zwar anlässlich der Teilnahme am Trachtenfest in Reinhardsbrunn im Jahre 1908, und besorgte die Instrumentation der meisten Tänze. Sein heimatbezogenes, schöpferisches Wirken ist heute noch in Ruhla lebendig, seine unvergänglichen Melodien gehören zum festen Repertoire der Folklore-Vereinigung „Alt-Ruhla“ e. V.

Berthold Stehmann verstarb im 74. Lebensjahr am 8. Januar 1917.

Aus „Bedeutende Ruhlaer“ von Lotar Köllner

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